Jeder von uns kennt die Bezeichnungen Bruder und Schwester. Die meisten haben sie ihr Leben lang durch direkten verwandtschaftlichen Bezug erlebt. Sie stammen von der gleichen Mutter ab, haben also einen gleichartigen Geburtsweg in ihrer Entstehungsphase und sind zumeist gemeinsam aufgewachsen.
Dass Freimaurer sich gegenseitig als Brüder bezeichnen mag aus dieser Sicht zuerst etwas befremdlich klingen. Ist es doch eigentlich heute in unserem Sprachgebrauch und Kulturraum unüblich, einen fremden, nicht verwandten erwachsenen Mann als Bruder zu bezeichnen.
Im Alten Testament steht die Bezeichnung Bruder oder Schwester für jeden Angehörigen des eigenen Volkes Israel, um sowohl die innere Solidarität als auch das gemeinsame Erwählt-Sein durch Gott zu betonen. Im Neuen Testament wird die gemeinschaftliche Bedeutung von Bruder und Schwester „durch den gemeinsamen Ursprung in Gott“ begründet.
„Diese ideelle Verwandtschaft“ wird in der christlichen Lehre „über die leibliche gestellt.“
So ist uns die Benennung als Bruder oder Schwester für Mitglieder von klösterlichen Gemeinschaften wohl vertraut. Aus derlei christlichen Pflegeorden des Mittelalters wurde die uns geläufige Bezeichnung
„Krankenschwester“ für weibliche Mitglieder der Pflegeberufe übernommen.
Aus der Ordensregel, die jeder Suchende vor seiner Aufnahme erhält, erfahren wir, dass sich auch die Freimaurer nach christlichem Vorbild „ im Bewusstsein ihrer Gotteskindschaft …Brüder nennen.“ , Bedenken wir, dass es zur Entstehungszeit unserer Rituale in Europa keinen Islam, keinen Buddhismus usw. gab, sondern ausschließlich die Christliche Religion in ihren verschiedenen Ausprägungen.
Hinzu kommt, dass freimaurerische Symbolik immer mehrdeutig ist, nie nur auf eine einzelne Aussage begrenzt. Wir nennen das „undogmatisch“. Daher spielt bei dem Brudernamen auch das Bild der verwandtschaftlichen Geburt eine Rolle.
Jede Aufnahme, jedes Einweihungsritual endet mit einer symbolischen Wiedergeburt. So ist also jeder Freimaurer Bruder ebenfalls wie bei einer
biologischen Geburt den gleichen Geburtsweg gegangen. Er hat das gleiche Ritual erlebt; ist also ein Bruder eines jeden anderen Mitglieds der Loge.
Im Handbuch für Freimaurerei aus dem Brockhaus Verlag lesen wir im Jahre 1863 dazu, dass der Brudername „allen Mitgliedern als Zeichen der höchsten Ehre“, … der „allen gemeinsamen Gleichheit und der allumschlingenden Liebe“ gilt. Wenn diese Aussage uns heute auch als ein wenig blumig erscheint, so sind doch die Ehre, die Gleichheit und umfassende mitmenschliche Liebe nach wie vor Maxime des Bruderbundes.
Schwestern werden im freimaurerischen Brauchtum die Ehefrauen, unverheiratete Töchter und Witwen der Freimaurer genannt. Es bezeichnen sowohl männliche Freimaurer die Frauen der anderen Brüder als Schwestern. Aber auch die Frauen untereinander geben sich den Schwesternamen. Die „Schwester“ drückt also den Status aus, dass ein Angehöriger von ihr zur Weltfreimaurerei gehört. Das gilt selbstverständlich Logen und Großlogen übergreifend.
Bereits in den altrömischen Collegien, Gesellschaften mit beruflichem oder geselligem Bezug, wurden die Frauen als „Schwestern“ tituliert. Die Verwendung der Bezeichnung „Schwester“ ist ein Hinweis auf die enge Verbundenheit der Freimaurerbrüder untereinander. Wird von Schwester und Bruder gesprochen, kommt dadurch eine Familienzugehörigkeit zum Ausdruck, die starke Bindungskräfte deutlich macht, welche über den Rahmen des Kollegen, Genossen, Vereins-Kameraden, Kumpel, Verbündeten ja sogar Freund hinausgeht.
Sicherlich wird mancher von Ihnen, jetzt Zweifel anmelden. Steht doch ein selbst erwählter Freund oftmals näher als ein durch Verwandtschaft automatisch zugehöriger Bruder oder eine Schwester, mit der man lediglich groß geworden ist!
Doch will man der Genforschung glauben, so ist dies eine Annahme, die nur bedingt zutrifft. Beim Studium biologischen Verhaltens hat man festgestellt, dass die biologischen Anpassungsvorgänge bei den Genen ansetzen und nicht beim einzelnen Individuum. Denn die Evolution, d.h. das Anpassen der Wesen zum Erhalten des Lebens an sich funktioniert, weil die stammesgeschichtlichen Erfahrungen als zusammengedrängte Information in den Genen, bzw. epigenetisch gespeichert werden. Der einzelne Mensch wirkt lediglich als Vervielfältiger dieser Geninformation. Daher, meine lieben Gäste, Schwestern und Brüder, haben wir in unserem Schutz- aber auch Stressverhalten oftmals auch heutzutage noch Strukturen, die aus der Zeit stammen, in der wir als Jäger und Sammler durch die Wälder streiften und die Frauen schützend mit ihrer Brut am Feuer in der Höhle saßen. Dies Verhalten hat sich in über 2 Millionen Jahren Menschheitsentwicklung in die ältesten Bestandteile unseres Gehirns eingeprägt und lässt sich auch nicht durch noch so gut gemeinte moderne Anpassungsbestrebungen kurzfristig ändern.
Ein Maß für den Erfolg der Evolution eines typischen Verhaltensmerkmals ist deshalb der Umfang, wie stark sich gleichartiges Verhalten ausbreitet. Je häufiger sich ein Merkmal durchsetzt, desto wahrscheinlicher ist, dass dieses Verhalten auch in den Folgegenerationen vorhanden ist. Durch Abstammung gehören dieselben Gene ja auch zum Erbgut der Verwandten, d.h. genetisch ähnliche Verhaltensweisen stecken in meinen Eltern, Geschwistern, Kindern, Neffen, Nichten, Vettern etc.
Daraus ergibt sich eine durch die Verwandtschaftsnähe automatische Verwandtschaftsunterstützung, die als spürbare Einflussfaktoren das Miteinander in Kooperation oder Konkurrenz unbewusst steuern.
In der Antike hieß es daher: „ Dem Verwandtschaftsgrad entsprechen die Freundschaftsverhältnisse“ oder etwas burlesker kennen wir den Ausspruch:“ Blut ist dicker als Wasser“.
Wenn wir uns also als Brüder und Schwestern verstehen, bringen wir die persönliche Nähe zum Ausdruck, die in gleichartigem oder ähnlichem Verhalten deutlich wird. Wodurch ergibt sich bei genetisch nicht Verwandten denn diese Gleichartigkeit? Sie wird erzeugt durch das bereits beschriebene Aufnahmeritual und die langanhaltende Erziehung im freimaurerischen Ritualsystem. Dieses führt von der Idee her zu einem ähnlich ethisch einwandfreien Verhalten gegenüber sich selbst und seinen Mitmenschen. Wenn also ein Bruder über Jahrzehnte ein ethisch freimaurerisches Erziehungssystem erfährt, verinnerlicht er durch das typische Ritualerleben, das auf das Unbewusste zugreift, die ethischen Zielvorstellungen. Diese werden ein Teil seines Selbst. In seinem familiären Rahmen führt die Veränderung des Bruders automatisch auch zur Veränderung der zugehörenden Familienmitglieder. So ergibt sich durch das Lehrgebäude bei rechter Anwendung ein Gleichverhalten, das dem genetisch Verwandter nicht unähnlich ist.
Man spricht gern von geistiger Verwandtschaft, was aber den Kern nur teilweise trifft. Denn das Freimaurerische hat eine Verwandlung des Wesens zum Ziel, was sowohl geistige als auch seelische, bewusste als auch unbewusste Eigenschaften beinhaltet. Soweit die Idee. Wollen wir in praktischer Realität die Freimaurerei verwirklichen und zu einem Lebensleitfaden erheben, ist die Teilnahme an den rituellen Arbeiten für jeden Bruder zwingend, da nur dadurch die ethische Grundlage verinnerlichbar wird. Im gesellschaftlichen Miteinander muss sich das Erlernte erproben und bewähren. Die Bezeichnung „ Schwester“, geht bei rechtem Verständnis also weit über den Status gleicher Vereinsmitgliedschaft hinaus. Es bezeichnet verwandtschaftliche Ähnlichkeit in menschlicher Verhaltensweise und bindet gesellschaftlich die Frauen in den Logenrahmen eng mit ein.
Sowohl der Begriff „Bruder“ als auch “Schwester“ beinhaltet dadurch, dass keine weiteren Attribute hinzugefügt werden, das Prinzip der Gleichheit. Der freimaurerische Lehrgedanke, dass alle Menschen gleich wertig sind, wird durch die Verwendung der Verwandtschaftsnahmen deutlich hervorgehoben.
REINOLDUS ZUR PFLICHTTREUE
Ein Ort, an dem längst verloren scheinende Tugenden wie Toleranz, Vernunft und Nächstenliebe gelebt werden, ist es gerade in Zeiten wie diesen wert, bekannter zu werden.
Freimaurerei ist seit über 300 Jahren ein erfolgreiches Persönlichkeitstraining. Die Chance, sich selbst zu erkennen und zu vervollkommnen, wollen wir in Zukunft noch mehr Menschen als bisher bieten und hoffen, Sie mit unserem Bruderbund für unsere Ideen und Ideale zu begeistern.